PORTRAIT
„Mich haben immer schon Menschen interessiert, die anders sind, aus unterschiedlichsten Gründen eher am Rande der Gesellschaft stehen und ganz besonders diejenigen mit schwer zu verstehenden Vorlieben, mit Eigenschaften und Lebensweisen, die uns erschrecken. Schreiben ist für mich Erleben. Ich schlüpfe in die Haut eines anderen, lasse ihn Dinge tun, die ich auch gerne einmal tun würde, tauche ein in Welten, die meine Neugier entfachen, mich magisch anziehen, weil sie so anders sind, als der kleine Kosmos, in dem ich aufgewachsen bin. Schreiben ist Leben ohne Grenzen.“
Jahrgang 1957
Einzelkind
Sternzeichen Fisch
wohlbehütet aufgewachsen in einem Arbeiterviertel in Mönchengladbach (...Nackenkoteletts)
Unvergessliche Ferien auf dem Land
Besuch der Marienschule („Nonnenbunker“)
Studium der Sozialarbeit an der FH Köln, Schwerpunkt Psychologie und Kriminologie
Studienbegleitendes Kellnern in der Mönchengladbacher Altstadt
Anerkennungsjahr in Hephata, Betreuung mehrfach behinderter Kinder
Assistententätigkeit für einen Professor der Kriminologie und Viktimologie an der FH-Niederrhein
Betreuung von Kriminalitätsopfern
langjährige Tätigkeit als Verwaltungsleiterin in einer Bildungseinrichtung für arbeitslose Erwachsene
20 Jahre Client-Relationship-Management im Family Office einer niederländischen Unternehmerdynastie
verheiratet mit einem Gitarristen (Rock, Jazz, Blues)
keine Kinder
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Wichtige Stationen
Mit 1 habe ich Daumen gelutscht und war ein braves Kind.
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Mit 2 habe ich still in meinem Laufstall gesessen und meine Mitmenschen genauestens unter die Lupe genommen. Vor dem Zubettgehen bekam ich jeden Abend eine Banane, was 1959 echter Luxus war.
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Mit 3 habe ich meinen Puppen und Bären die Welt erklärt.
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Mit 4 habe ich alle damals üblichen Kinderkrankheiten durchgemacht und ging deshalb nur selten in den Kindergarten.
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Mit 5 habe ich Zucker auf die Fensterbank gestreut, weil ich einen großen Bruder zum Reden haben wollte. (Hat aber nicht funktioniert.)
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Mit 6 habe ich im Pyjama auf privaten Feiern getanzt und angefangen im großen Stil zu Flunkern.
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Mit 7 waren meine Eltern froh, wenn ich meine Ferien bei den Großeltern verbrachte, weil ich in einer Tour gebrabbelt habe.
Schönste Erfahrungen: mit nackten Füßen in warme Kuhfladen treten und in einem begehbaren Holzhäuschen sitzen, in dem nur frisch geschlüpfte Küken ihr Zuhause hatten.
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Mit 8 habe ich mich heimlich in einem Schluppenkino herumgetrieben und meistens jugendfreie Filme angeschaut.
Nebenbei habe ich die Banderolen von Wrigley Spermint Gum gesammelt und für 500 meine erste Schallplatte ergattert: Der Mann im Mond.
Fasziniert war ich in diesem Alter von echten Medikamenten und habe damit Apothekerin gespielt. Zu dieser Zeit habe ich nicht geahnt, dass diese Vorliebe einmal der Impuls für ein Buch werden würde, das ich noch schreiben werde: Die kleine Apothekerin.
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Mit 9 habe ich regelmäßig Bücher in der Stadtbibliothek ausgeliehen und verschlungen. Lieblingsautoren: Astrid Lindgren, Enid Bleyton und Gebrüder Grimm.
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Mit 10 habe ich mit meinen Schulfreundinnen unter aufgespannten Regenschirmen gesessen und ihnen Gespenstergeschichten erzählt. Außerdem bekam ich meinen ersten Klavierunterricht bei Fräulein Weyers.
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Mit 12 habe ich mir geschworen, nie wieder lieb zu sein.
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Mit 13 habe ich angefangen zu rauchen.
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Mit 14 habe ich meinen ersten Kuss bekommen, er war schrecklich feucht.
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Mit 16 habe ich mit dem Klavierspielen aufgehört. Stattdessen habe ich meine Nachmittage auf den Stufen des Stadttheaters in Mönchengladbach verbracht und mit Gleichaltrigen über Che Guevara, Sigmund Freud und Karl Marx diskutiert..
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Mit 17 bin ich mit vier Fünfen in Mathe, Englisch, Latein und Kunst sitzen geblieben.
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Mit 18 habe ich in der Münsterkirche zu Musik von Maurice Béjart getanzt.
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Mit 20 habe ich Abi gemacht und in Köln als Tagespendler Sozialarbeit studiert. Eines der wenigen Dinge, die ich in meinem Leben bereut habe. Man sollte auf keinen Fall auf ein echtes Studentenleben verzichten.
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Mit 24, ganz genau im Oktober 1981, bin ich mit einer Zufallsgemeinschaft, das heißt Menschen, die ich nicht kannte, nach Ägypten gereist. Eine Woche vorher war Sadat erschossen worden. Bei der Landung auf dem Flughafen in Kairo ging ich über den roten Teppich zur Eingangshalle, vorbei an einer Menschenmenge, die uns hinter einem Metallzaun aufgeregt bestaunte, und wußte: ich bin nach Hause zurückgekehrt. Nichts hat mich in meinem Leben mehr bewegt als dieser Augenblick und die Faszination für dieses Land, das literarisches Studium der Ägyptologie und Orientalistik haben mich für lange Zeit in ihren Bann gezogen. Ein dramatisches Ereignis in meiner Familie zerstörte meine Pläne nach Ägypten auszuwandern.
Es folgten viele Jahre, in denen der Ernst des Lebens Einzug hielt: arbeiten, arbeiten, arbeiten, fleißig sein, Ehrgeiz zeigen, Geld verdienen.
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Mit 35 habe ich verstanden, dass das nicht alles sein kann und habe die ersten Schreibwerkstätten besucht. Beim Rendezvous der Worte brachte ich erste Texte zu Papier. Außerdem habe ich mit dem Rauchen aufgehört und koche seitdem leidenschaftlich ausgefallene Menüs für Freunde.
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Mit 40 hatte ich mein Coming Out im Rahmen eines Wettbewerbs, der von der Gleichstellungsbeauftragten in Mönchengladbach ins Leben gerufen wurde.
"Hilfe ich habe einen Mann gefunden“
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Im gleichen Jahr gründete ich zusammen mit anderen Autoren dieses Wettbewerbs die Autorengruppe „Federspur“. Was den Reiz unserer literarischen Arbeit ausmachte, waren die unterschiedlichen Vorlieben der Mitglieder. Hierbei trafen Satire des Alltags und schwarzer Humor auf Lyrik von grau bis regenbogenfarben. In unterschiedlicher Konstellation haben wir zahlreiche Leseprojekte veranstaltet und uns schnell einen Namen auch über die Grenzen von Mönchengladbach gemacht.
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Eine Auswahl:
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„50 Meter Freistil mit Chlormops“, eine Lesung mit Taucherbrille und Schwimmflossen im Rahmen der Mönchengladbacher Sklupturenmeile vor der Skulptur „Zentralbad“ 2002, Sommerblumen, vier Original-Startblöcke aus dem abgebrannten Zentralbad von Bernd Trasberger.
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„Tod eines Wahlkandidaten“, eine Taschenlampenlesung im Holzpavillon in der Nähe des Botanischen Gartens unter dem Motto „Totgesagte leben länger!“ Gemordet wurde an den schönsten Plätzen in der Vitusstadt. Ähnlichkeiten mit lebenden Politikern der Stadt waren natürlich rein zufällig.
Sommerlesung in der Konzertmuschel an der KFH, eine Lesung mit den Mitgliedern der Autorengruppe Federspur und Gästen.
Hierzu eine Titelauswahl:
.„Ein Elfchen und ein Elefant, die trafen sich im Wald...“
„Ein Männlein hängt im Walde....“
„Der mit den Murmeln spielte...“
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Es folgte die Organisation diverser Kunst-Events „Bildung und Kunst“ in den Räumen der FAA Mönchengladbach, bei denen bildende Künstler auf Literaten trafen.
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Mit 43 habe ich meine erste Tradition aus der Taufe gehoben: den Adventskaffee. Er findet seitdem jedes Jahr am Samstag vor dem zweiten Advent statt. Bei Punsch und Bratäpfeln lesen sich echte Weihnachtstraditionalistinnen selbst erdachte oder neu entdeckte Weihnachtsgeschichten vor.
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Mit 44 habe ich nach 17jähriger Verlobungszeit meinen Gitarristen geheiratet.
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Mit 46 gründete ich den 1. Literarischen Schnellimbiss in Mönchengladbach. Ort des Geschehens war die ehemalige öffentliche Toilettenanlage an der Kaiser-Friedrich-Halle. Nach dem Motto „Wir wollten immer schon mal vor vollem Haus lesen“, mieteten wir das Klöchen für 50 DM für einen Monat an und öffneten jeweils freitagsabends den Schnellimbiss für eine einstündige Lesung. Titel der Leseevents waren u. a. „Ulcus Satiricus“, „Dicht und lürisch“ „Sommertinte“,„Geschichten vom Meer“ und „Garantiert tödlich“. Volles Haus bedeutete: 15-20 Zuschauer. Wir hatten zunächst ein proppevolles Haus. Im dritten Jahr ging die Auslastung dramatisch zurück und wir gaben das Projekt schweren Herzens auf.
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Mit 48 gründete ich zusammen mit Anja Puhane das „DUO Criminale - eine Melange aus tödlicher Heiterkeit und liebenswürdiger Bösartigkeit. Uns verband die Leidenschaft für mörderische Zwischenfälle. In der Regel entstanden unsere zumeist kurzen Texte nach spontanen Schreibimpulsen. Anja Puhane mordete dabei gepflegt brutal und blutig. Ich hatte eher einen Hang zum Skurrilen, paarte es zuweilen mit einem Hauch Erotik und viel Sinn für Kulinarisches.
.Eine Auswahl
.02.11.2008 Fiese-Finger-Food
Es kam wie es kommen musste: Wir wagten uns gemeinsam mit Andrea Jung an den Herd. Passend zum selbstbereiteten Finger-Food verfassten wir Texte, die mit Fingern und sonstigen Körperteilen und natürlich mit Essen zu tun hatten. Serviert wurden Häppchen und Texte im Rahmen der Mönchengladbacher Krimitage im BIS-Zentrum. Manch eine fand die Ankündigung zwar eklig und unser Food-Design sehr kriminell, aber die meisten haben brav aufgegessen...
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07.11.2009 Ausgestellt - ein Museumsrundgang der anderen Art
.Im Rahmen von nachtaktiv umwehte uns der Hauch des Todes ausgelöst von einer kleinen, feinen Auswahl von Ausstellungs-stücken. Diesmal hatten wir die aktuelle Ausstellung im Museum Abteiberg dazu genutzt, um den Plot unserer mörderischen Geschichten in Gang zu setzen. Dabei rückten wir unseren Opfern mit einer heftigen Portion schwarzen Humors, mal düster und mal grotesk zu Leibe und ließen den Mord auf abgründige Weise zum künstlerischen Akt werden. Musikalisch begleitet wurden wir bei den beiden Führungen der anderen Art von Nadine Jagusch am Saxophon, die die Zuhörer mit sphärischen Klängen in ihren Bann zog und als „Rattenfängerin“ die Gäste durch das Museum leitete.
13.11.2010 Kriminacht im BIS: Dolce Vita - Duo Criminale auf Reisen
Im Rahmen der Abschlussveranstaltung der 6. Mönchengladbacher Krimitage haben wir Kurzkrimis gelesen, die in Italien spielen. Egal, ob am Gardasee, in der Toskana oder auf Sardinien, in Bella Italia kann man nicht nur das Dolce Vita genießen, sondern auch in die Abgründe der menschlichen Seele blicken. Musikalisch unterstützt hat uns und die anderen Autoren der Pianist Ulrich Borchers. Insgesamt war es ein ebenso vergnüglicher, wie auch spannender und sehr abwechslungsreicher Krimiabend, der gut besucht war.
Ein paar Impressionen der „Skulptur sucht Autor“- Lesungen: Jutta vor der Skulptur „Die Atlantin“ von Yvonne Mümo Neumann (Nachtaktiv 2012). Jutta und „Nachdenkliche Mücke“ von Monika Otto (Vernissage im Menge-Haus, 2013). Anja liest „Ungezähmt“ (Skulptur „Ariadne und Minotaurus“, Mümo, Nachtaktiv 2012)
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2014 haben sich unsere Wege getrennt.
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Mit 50 habe ich wieder mit dem Klavierspielen begonnen. Ich spiele Klassik und Jazzstandards für den Hausgebrauch.
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Mit 57 startete ich meine Solokarriere.
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Mein erstes Projekt habe ich zusammen mit der Historikerin Angela Klein-Kohlhaas durchgeführt. Es handelte sich um Straßenlesungen der besonderen Art, die wir fünf Jahre lang - jeweils in den Sommerferien - in der Dülkener Altstadt veranstaltet haben.
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20. Juli 2014, 16.30 Uhr
Stadtfest in Dülken
"Mörder, Schurken und Schlawiner"
.Literarischer Stadtrundgang
.Als ich an diesem Nachmittag nach Dülken fahre, weint schon wieder der Himmel. Ob der liebe Gott mir ein Zeichen geben will? Es ist jetzt schon das zweite Mal, dass es an dem Tag, an dem die Straßenlesung stattfinden soll, regnet und das im Hochsommer!
Als ich zwei Stunden später nach Hause fahre, lacht der Himmel und ich bin überglücklich. Mehr als 70 Zuhörer aus Dülken und Umge-bung sind unserer Einladung gefolgt und lauschen aufmerksam dem, was Angela Klein-Kohlhaas zur Geschichte der Stadt und ich über die „kriminellen“ Neigungen der Bewohner zu erzählen haben.
Am Ende kommt eine ältere, sehr freundliche, Dame auf mich zu und meint: „Ich möchte Ihnen gerne Mut machen. Bei „Eier und Speck“ waren am Anfang auch nur einige Leute und Sie müssten mal sehen, was da mittlerweile los.“ Ja, so sind sie, die Dülkener. Immer das Herz auf der Zunge. Ja, dann bis zum nächsten Jahr! Schon auf der Heimfahrt kommen mir die ersten Ideen: Ich könnte das mit dem Toten in der Mülltonne mal in einer der neuen Geschichten „verwursten“ und endlich einen Mord im Orpheum begehen.
Literarischer Stadtrundgang in der Rheinischen Post
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Mit 60 habe ich es dann wahrgemacht und meinen ersten Krimi für das Programmheft des Orpheums geschrieben. Insgesamt waren es drei.
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So auch 2018. Auch diesmal waren die Herren des Orpheums so nett, meine Überlegungen zum Aat Dölker Stöcksken „Piff paff deä Vuurel mot eraff“, die ich diskret in einer Krimigeschichte versteckt hatte, in Ihrer Souvenir-Illustrierte abzudrucken. Es war mir eine große Ehre, einen kleinen Beitrag zur Jubiläumsausgabe „150 Jahre Orpheum“, leisten zu dürfen.
Nebenbei bemerkt habe ich mir die Freiheit genommen, mir einen entsprechenden Namen zu verpassen, der da lautet: Chrysos floscellus caesum – das mordende Goldblümchen.
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Mit 60 habe ich mich dann auch getraut, die Clownschule „Clownzeit“ in Köln zu besuchen und dort die Clownin in mir entdeckt. Mein Name ist Popomello.
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Mit 62 habe ich mir einen großen Traum erfüllt und bin für vier Wochen nach Venedig gereist. Gewohnt habe ich in der zauberhaft eingerichteten Wohnung einer Musikprofessorin im Studentenviertel in Dorsoduro. Seitdem bin ich infiziert und arbeite seither an einem Lesebuch mit dem Titel „Venedig zum Schlendern“.
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Gartenlesung in „Achter het muurtje“
Privatgarten in Dülken
Mordadella Italiana
Unvergessliche Momente an den schönsten Orten Italiens
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Ja, es gibt sie wirklich, die kindlich aussehenden Ragazzi, die ihre Motorroller wie junge Raubtiere aufheulen lassen, die Papagallos in ihren weißen Lederschuhen und Bundfaltenhosen, in deren Armen wir uns beim Tanz wie eine Feder fühlen und die graumelierten Kavaliere mit den vielversprechenden Furchen in ihren Gesichtern, die von Reife und zahllosen Liebesabenteuern erzählen. Und das Allerbeste ist: sie alle lieben nichts mehr als die Frauen, auch die in die Jahre gekommenen und das ist, ehrlich gesagt, der Grund, warum ich so gerne nach Italien fahre. Dieses Land ist für mich eine einzige Inspiration und so sind viele kleine Geschichten entstanden, die sich so oder wenigstens fast so hätten zutragen können.
Dabei habe ich den handelnden Personen stets aus sicherer Entfernung zugesehen. Mal aus einer Gasse in einem der verträumten Bergdörfer mit Blick auf den Gardasee, mal aus einer venezianischen Gondel oder vom Fenster meiner Ferienwohnung in Dorsoduro.
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