MG-MORDSKURZ

Lautlos

Impuls: Bronzeskulptur im Bunten Gartenhinter der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach

Der Morgen öffnete seine Fensterläden und brachte es ans Licht. Lautlos war es nicht geschehen, aber beinahe unbemerkt. Nur der in Bronze gegossene Jüngling, der seit Generationen schamlos und nackt, ein Blickfang im schönsten Garten dieser Stadt war, hatte es mit ansehen müssen.

Er fasste sich jedesmal entsetzt an den Kopf und tat es auch diesmal. Am liebsten hätte er es herausgeschrien. Aber wozu? Hier in diesem Park war niemand, der es hätte hören wollen und die, die da waren, hatten genug mit sich selber zu tun. Jagten hechelnd der ewigen Jugend hinterher, zelebrierten - der Hektik des Alltags entrückt - Sonnengrüße im feuchten Gras oder flüchteten aus Verstecken, die ihnen als Nachtplatz gedient hatten, ohne Spuren zu hinterlassen.

Das, was hier in der letzten Nacht geschehen war, interessierte erfahrungsgemäß ein paar Tage die Zeitungsleser und vielleicht den ein oder anderen Angehörigen des Betroffenen. Und, allerdings nur von Amts wegen – Polizei und Justiz. Und in diesem speziellen Fall, auch die städtischen Gärtner. Denn sie mussten schließlich die Stelle im Blumenbeet wieder so herrichten, dass die Sonntagsspaziergän-ger nichts bemerkten. Und das war nicht so einfach. Der Ermordete hatte sich heftig gewehrt und dabei einige der frisch gepflanzten Sommerblüher mit sich in den Tod gerissen.

Die von Amts wegen kamen um neun und gingen um vier.

Der Zeitungsartikel war kurz. Fünf unspektakuläre Zeilen ohne Bild über einen Mordfall mit zwei Unbekannten: einem unbekannten Täter und einem unbekannten Opfer. Nur der bronzene Jüngling wußte, was geschehen war, und schwieg. Und der, der es getan hatte, kam immer wieder hierher. Gerne in der Dämmerung und im Sommer häufiger als im Winter.

Masterplan

Impuls: Geplanter historischer Abteiweiher in der Nähe des Geroweihers in Mönchengladbach

Der Tag, an dem der dunkelblau gefärbte Männerfuß aus dem Wasser ragte, war der letzte von zahlreichen, an denen es nicht geregnet hatte.

Nun begann es zu tröpfeln und die Frau in der mausgrauen Jacke, die schon seit Stunden auf einer der Bänke gesessen und gestrickt hatte, räumte die Handarbeitssachen zusammen, bekreuzigte sich und verließ den Ort des Geschehens.

Leicht gefallen war es ihr nicht, aber diese ewigen Nörgeleien hatte sie einfach nicht mehr ertragen können. Und ertrinken war doch ein vergleichsweise schöner Tod.

Statt roter Rosen würde sie ihm die selbstgestrickten Wollsocken mit ins Grab legen. Wo er doch immer so kalte Füße hatte und dann würde sie sich freiwillig stellen.

Dass sie am Ende mit ihrer Tat in die Geschichtsbücher der Stadt Mönchengladbach aufgenommen wurde, hatte sie dem Oberbürgermeister zu verdanken. Zufälligerweise war ihr Mann die erste Leiche, die aus dem neu angelegten Abteiweiher gefischt wurde und mit dieser Art Nutzung hatten die Gründerväter des Masterplans nun wirklich nicht gerechnet.

Stumme Zeugen

Impuls: In der Nähe der Münsterkirche in Mönchengladbach

Mit gefalteten Händen wurde sie aufgefunden, die junge Frau, auf deren versteinertem Körper sich hunderte Fliegen aufgeregt summend zu einem Festmahl versammelt hatten. Entdeckt von einer Betschwester, die stets mittwochs zur Ohrenbeichte ging und dann noch einen kleinen Rundgang um die Münsterbasilika machte.

Hinter einem rostigen Gitter, dessen Tor auf den ersten Blick seit ewigen Zeiten fest mit einer Eisenkette verschlossen zu sein schien, hatte sie der Tod ereilt. Mit dem gleichen gütigen Blick wie die Mutter Gottes, die stumme Zeugin dieser grausigen Tat gewesen sein musste, lag sie auf einem roten Regencape, nur wenige Schritte vom Eingang der Kirche entfernt. So nah bei Gott und dennoch schutzlos den mörderischen Händen eines Wahnsinnigen ausgelie-fert, der ihren Hals mit seinen beiden Daumen fest zugedrückt und sie auf diese Weise eines Lebens beraubt hatte, das mit einer wundervollen Kindheit begonnen und mitten in den schönsten Jugendtagen zu Ende gegangen war.

Als der Hauptkommissar am Tatort erschien, öffnete der Küster, der nach der Abendmesse bereits den Weg nach Hause angetreten hatte, ein wenig missmutig das Tor. Außer der Mutter Gottes gab es zwei weitere Zeugen, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit alles mit angesehen haben mussten und nun gurrend im Gebälk umherflatterten. In ihr Liebesspiel vertiefte Friedensboten, die offensichtlich an diesem unheimlichen Ort ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden waren und in keiner Weise zur Aufklärung der genaueren Umstände beitragen würden.

Und noch jemand, der zum Schweigen verurteilt war, hatte das, was hier vor sich gegangen war, miterlebt. Im grellen Schein der Taschenlampe hatte ihn der Kollege der Spurensicherung aufgespürt und den scheuen Mann, der bisher unbemerkt in einer dunklen Ecke dieses Verlieses gekauert hatte, in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. In seiner Faust hatte er einen Stofffetzen und einen abgerissenen Knopf versteckt, die offensichtlich beide von einem dunkelgrünen Lodenmantel stammten.

Die Erstellung eines Phantombildes gestaltete sich schwierig, führte aber dennoch zum Erfolg. Als der Kommissar den taubstummen Hauptzeugen mit einem Dutzend Verdächtiger konfrontierte, zeigte dieser aufgeregt gestikulierend und verzweifelt um Laute ringend immer wieder auf einen graubärtigen Endfünfziger, der sich als angesehener Golfplatzbesucher und passionierter Jäger herausstellen sollte. Er hatte es im Anschluss an eine erfolglos verlaufene Treibjagd getan. Mit Händen, die in den vergangenen zwanzig Jahren unzählige Kinder auf die Welt geholt hatten. Ob er nach Verbüßen seiner Haftstrafe mit dem Jagen aufgehört hat, ist nicht überliefert.

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